[2012]

There is a crack in everything.

Marcel Schumacher

Eine Gitterwand teilt den Raum der kunstgaleriebonn, ein Objekt aus spiegelnden Isolierklebebändern schwebt wie ein futuristischer Tisch daneben. Die Installationen Martin Pfeifles sind klare Setzungen im Raum, die Irritationen auslösen. Sie bringen den umgebenden Raum in Spannung, verändern ihn durch Material und Form wie Architekturen. Manchmal wirken sie wie Modelle im Maßstab 1:1; sie stehen im Raum oder greifen in ihn aus. Die Bewegung des Betrachters ändert sich, er folgt plötzlich Wegen, die in der Schwebe bleiben, denn die Materialien der Installationen verraten ihre kurze Dauer. 

 

Bezüge entwickeln sich nicht nur zur Architektur der Ausstellungsorte, sie finden sich auch zur Architektur unserer Städte. Seit seinem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf hat Martin Pfeifle eine Fotosammlung unterschiedlichster Architekturdetails angelegt. Die Fotografien sind manchmal beiläufig, manchmal auf Entdeckungstouren entstanden. Sie bilden eine Art bildliche Notizensammlung, einen losen Zettelkasten. So zufällig die Entdeckung des Motivs sein mag, Quadrierung und Komposition abstrahieren das fotografierte Objekt. Klare geometrische Figuren strukturieren die Bilder. Die ausgewählten Motive zeigen Ausschnitte von modernen Architekturen. Doch es handelt sich nicht um glatte Architekturfotos, oft zeigen die Details Spuren von Veränderungen, Rissen und Brüchen. 

 

 

Schwarzer Terrazzo, geschnitten, eine Stelle ein mattschwarzer Tetraeder, gekerbte Treppenstufen, dünne Metallstangen, weiß lackiert, der Griff aus rotem gummiweichen Kunststoff.

Treppenhausfenster aus dünnen, gerippten Glasplatten, mattes Gelb und Violett in zufälliger Konstellation. 

 

 

Viele zeitgenössische Künstler tasten den uns umgebenden, gebauten Raum ab. Ihr aufmerksamer Blick entdeckt Skulpturen, Reliefs, Landschaften, Installationen dort, wo solche nebenbei oder per Zufall entstanden sind. Oft verbergen sich die gestalterischen Ideen und Visionen der Architekten der deutschen Nachkriegsmoderne in Details oder in der Kunst am Bau, die nicht Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen waren. Expressionistische Treppenhausfenster, Profilierungen, abstrakte Mosaiken aus Linoleum. Andere Künstler machen sich auf die Suche nach extravaganten Bauten, die noch nicht als Ikonen der Architekturmoderne verbraucht wurden. Dabei werfen sie immer wieder die Frage nach demn Zustand der Moderne auf, mal Monument oder Ruine, mal Baustelle. Die daraus entstehenden Werkstrategien sind sehr unterschiedlich und reichen vom Modellbau bis zur Gebäudeskulptur.  

 

 

Glasbetonsteine, einer aus der Fläche gekippt, ein zweiter und ein weiterer als Relief herausgehoben.

Rechteckiges Wasserbecken, poolblaue Fliesen, im Boden versenkt, dazwischen eine einzelne weiße.

Vordach, futuristisch nach oben gekippt, gegen den rauhen Beton eine glatte Metallkante abgesetzt.

 

 

Mit der Kamera wählt Martin Pfeifle typische Details der Architekturmoderne heraus. Aus der Sammlung ließe sich eine Typologie entwickeln, die über die kanonischen Fünf Punkte zur neuen Architektur Le Corbusiers (Stützensystem, Dachgarten, Freier Grundrißss, Fensterbänder, Vorhangfassade) weit hinausgeht. Beton- oder Stahlstützen in Kombination mit Deckenplatten bilden heute noch das bestimmende Bausystem, das auch nichttragende, raumstrukturierende Wandscheiben ermöglicht, wie die berühmte Onyx-Wand Mies van der Rohes im Barcelona Pavillon. Schon Ende der 1920er Jahre wurden die Materialien und Typen der modernen Architektur vielfältiger. In den 1930er Jahren begann Le Corbusier Natursteinwände als baukompositorisches Element zu verwenden, so wie er von Anfang an farbige Wände einsetzte. Nicht-rechtwinklige Strukturen setzte er als Kontrast zu klaren Formen ein. Brechungen und Irritationen setzten seine Zeitgenossen wie Josef Albers ein, der in seinen Fugen-Bildern endlose Varianten durch Verschiebungen der Bildelemente erreichte.   

 

 

Natursteinboden, Travertin, zu unregelmäßigen Rauten geschnitten, als ob ein Findling in Scheiben geschnitten worden wäre.

Gartentor, runde Metallstangen zu einem kristallinen Netz verschweißsst, die kantigen Pfosten mit Granitplatten verkleidet, die wie verwittert wirken sollen.

 

 

Jeder Betrachter wird in den Installationen Martin Pfeifles an ein anderes Detail, in einer anderen Stadt, in einer anderen Straße denken. Verbunden sind diese Erinnerungen durch eine Architektursprache, deren Anspruch universalistisch war. In den Installationen kommt es zu einer Kollision zwischen dem Raumgedächtnis und konkretem Ausstellungsort. Nachbauten lassen sich in den Arbeiten keine finden. Pfeifle nutzt seine Bildersammlung nicht als Steinbruch; die Bilder lösen einen Prozeßss aus oder verändern einen laufenden Prozeßss. Ein Material kommt hinzu, eine Form wird abgeleitet, oder das Verhältnis der Elemente geht in den Arbeitsprozeßss ein.  

Besondere Spannungen entstehen, wenn Pfeifle in historischen Räumen interveniert. In den Installationen in Goch und in der Abtei Kornelimünster steuerte der Künstler der dominanten Kleinteiligkeit und Ikonographie des Raums entgegen, indem er die Räume durch große, starkfarbige Flächen unterbrach. In Goch durchzog ein gelbgrüner Veloursteppich die Räume des renovierten Altbaus. In einem Raum war diese diffuse Farbfläche angehoben und schob sich als schiefe Ebene in den Raum, und ließss die kleinen Sprossenfenster in den Hintergrund verschwinden.  

 

 

Straßenmöbel, Gußssbetonbank, abgeschrägte Wangen, Abbrüche haben die Ecken gerundet.

Rasterfassade, prismatisch versunkene Fenster in der Sichtbetonfläche.

Getreppte, gefaltete Wände, auf Stelzen schwebend, mäandrierend um die nächste Ecke geführt.

Stützen, mit geritzten Platten umhüllt, jede Fuge eine fluchtende Linie.

 

 

Farbe prägt die Arbeiten wesentlich, entfaltet eine eigene Raumwirkung. Die weißen Wände der Ausstellungsräume reflektieren die intensiven Farben, es entsteht Malerei im Raum. Dabei setzt Martin Pfeifle die Farbe demonstrativ als Fläche ein, mit einer farblosen Rückseite. Diese Zweiseitigkeit zieht sich durch bis zu der Verwendung der Materialien. Auf der einen Seite entfalten die Spiegelfolien in der Arbeit im ReichlinghausReuchlinhaus, Pforzheim, den glamourösen Effekt einer Spiegelwand, auf der Rückseite wird die grobe Konstruktion sichtbar. Das Beiläufige, das Unaufwendige, hebt die Monumentalität der räumlichen Eingriffe auf. So perfekt die Arbeiten im ersten Augenblick wirken, bei genauerem Hinsehen werden Irritationen der Oberfläche sichtbar. Die Farbfolien der Arbeit enka sind so auf dünne, knittrige Klarsichtfolie aufgeklebt, als wäre ein Fehler unterlaufen. Die matte, klare Folie ist zerknittert, wodurch das Material plötzlich an rauhes Glas erinnert, obwohl die sichtbare Flexibilität des Materials dazu im Widerspruch steht. Solche Brüche, kalkulierte Imperfektionen finden sich immer wieder und lassen eine spielerische Offenheit sichtbar werden.  

 

 

Weiße Adern auf dunklem Grund, Chromprofile, verschiebbare Glasplatten auf Rollen.

Neonröhren, als Muster, als Stern, als Linie.

Deckenplatte, gefaltete, glatte Flächen, weiß-graue Dreiecke, schwarze Schattenfugen dazwischen.

Mosaikboden, leicht verwackeltes Raster, dort ein Flicken aus Asphalt.

A lattice wall divides the room of the kunstgaleriebonn, an object made of reflective insulating tape floats next to it like a futuristic table. Martin Pfeifle's installations are clear settings in space that trigger irritation. They bring tension to the surrounding space, changing it through material and form, like architectures. Sometimes they look like 1:1 scale models; they stand in the space or reach out into it. The movement of the viewer changes, he suddenly follows paths that remain in limbo, because the materials of the installations betray their short duration. 

 

References develop not only to the architecture of the exhibition venues, but also to the architecture of our cities. Since his studies at the Düsseldorf Art Academy, Martin Pfeifle has created a collection of photographs of the most diverse architectural details. The photographs were sometimes taken casually, sometimes on discovery tours. They form a kind of pictorial collection of notes, a loose box of scraps of paper. However coincidental the discovery of the motif may be, squaring and composition abstract the photographed object. Clear geometric figures structure the images. The selected motifs show details of modern architecture. However, these are not smooth architectural photos; the details often show traces of changes, cracks and breaks. 

 

 

Black terrazzo, cut, a matte black tetrahedron in one place, notched steps, thin metal rods, painted white, the handle made of red, rubber-soft plastic.

Stairwell windows made of thin, ribbed glass plates, matte yellow and violet in a random constellation.

 

 

Many contemporary artists scan the built space around us. Their attentive gaze discovers sculptures, reliefs, landscapes and installations where these have been created incidentally or by chance. The creative ideas and visions of architects of German post-war modernism are often hidden in details or in the art in the building that has not fallen victim to austerity measures. Expressionist stairwell windows, profiles, abstract mosaics made of linoleum. Other artists set out in search of extravagant buildings that have not yet been consumed as icons of modern architecture. In doing so, they repeatedly raise the question of the state of modernism, sometimes as a monument or ruin, sometimes as a construction site. The resulting strategies are very different and range from model making to building sculpture. 

 

 

Glass-concrete blocks, one tipped out of the plane, a second and a further one raised as a relief.

Rectangular water basin, pool-blue tiles, sunk into the ground, in between a single white one.

A canopy, tilted futuristically upwards, contrasting with the rough concrete and a smooth metal edge.

 

 

Martin Pfeifle uses the camera to select typical details of modernist architecture. A typology could be developed from the collection that goes far beyond the canonical five points of the new architecture of Le Corbusier (support system, roof garden, free floor plan, window bands, curtain wall). Concrete or steel columns in combination with ceiling slabs are still the dominant construction system today, enabling non-load-bearing, space-structuring wall panels such as Mies van der Rohe's famous Onyx Wall in the Barcelona Pavilion. By the late 1920s, the materials and types of modern architecture were already becoming more diverse. In the 1930s, Le Corbusier began using natural stone walls as a compositional element, just as he had used coloured walls from the outset. He used structures with non-right angles to contrast with clear forms. His contemporaries, such as Josef Albers, used refractions and irritations, achieving endless variations by shifting the picture elements in his ‘Fugenbilder’ (joint pictures). 

 

 

Natural stone floor, travertine, cut into irregular rhombuses, as if a boulder had been sliced.

Garden gate, round metal bars welded to a crystalline mesh, the angular posts covered with granite slabs that are supposed to look weathered.

 

 

Every viewer will think of a different detail, in a different city, in a different street, when looking at Martin Pfeifle's installations. These memories are connected by an architectural language that was universal in its aspirations. In the installations, there is a collision between spatial memory and the specific exhibition venue. There are no replicas in the works. Pfeifle does not use his collection of images as a quarry; the images trigger a process or change an ongoing process. A material is added, a form is derived, or the relationship between the elements is incorporated into the working process. 

Particular tensions arise when Pfeifle intervenes in historical spaces. In the installations in Goch and in Kornelimünster Abbey, the artist counteracted the dominant small-scale detail and iconography of the space by interrupting the rooms with large, brightly coloured surfaces. In Goch, a yellow-green velour carpet permeated the rooms of the renovated old building. In one room, this diffuse colour field was raised and pushed into the room as an inclined plane, making the small lattice windows disappear into the background. 

 

 

Street furniture, a cast concrete bench, bevelled cheeks, breaks have rounded the corners.

Grid façade, prismatically sunken windows in the exposed concrete surface.

Stair-stepped, folded walls, floating on stilts, meandering around the next corner.

Columns, wrapped in scored panels, each joint an aligned line.

 

 

Colour characterises the works significantly, unfolding its own spatial effect. The white walls of the exhibition rooms reflect the intense colours, creating painting in space. Martin Pfeifle uses colour demonstratively as a surface, with a colourless reverse. This two-sidedness extends to the use of materials. On the one hand, the reflective foils in the work in the Reuchlinhaus, Pforzheim, create the glamorous effect of a mirrored wall, while on the reverse, the rough construction is visible. The casual, unassuming quality cancels out the monumentality of the spatial interventions. As perfect as the works appear at first glance, on closer inspection, irritations on the surface become visible. The coloured foils of enka's work are glued to thin, crumpled transparent foil, as if a mistake had been made. The clear, matt film is crumpled, making the material suddenly resemble rough glass, although the visible flexibility of the material contradicts this. Such breaks, calculated imperfections, can be found again and again and reveal a playful openness. 

 

 

White veins on a dark background, chrome profiles, sliding glass plates on rollers.

neon tubes, as a pattern, as a star, as a line.

Ceiling tiles, folded, smooth surfaces, white-grey triangles, black shadow gaps in between.

Mosaic floor, slightly blurred grid, a patch of asphalt here.

 

 

That's how the light gets in. 

(Leonard Cohen)