[2007]

Rede

Vanessa Müller

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, heute hier anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Schlossstraße“ reden zu dürfen, denn ich war auch Teil jener Jury, die vier der Stipendiaten ausgewählt hat. AusBerlin, aus Frankfurt, Köln und Düsseldorf nach Ringenberg zu ziehen, ist eine einschneidende Veränderung, und wie sich diese Veränderung produktiv auf das künstlerische Schaffen auswirkt, eine spannende Beobachtung.
                Ein Stipendium auf einem Schlosswie Ringenberg ist eine besondere Arbeitssituation. Abseits des Alltags bietet es die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, Ideen zu verfolgen, sich weiter zu entwickeln. In gewisser Weise ist man auf sich selbst zurückgeworfen, wenn man sich einlässt auf die spezielle Atmosphäre an diesem Ort. Gleichwohl animiert diese Atmosphäre zu einer Reflexion über das eigene Tun, die erst im Rahmeneiner wie ein Zwischenbericht angelegten Ausstellung wie dieser ihre Resonanz von außen erfährt. Es verwundert deshalb nicht, dass vor allem Werke entstanden sind, die sich mit dem ungewöhnlichen temporären Lebensort oder aber die eigeneRolle des Künstlerseins reflektieren.
                Cony Kuilboer und Ben Kruisdijk haben eine Gemeinschaftsarbeit zum künstlerischen Nomadentumm entwickelt. Ein Lastenesel trägt Werke und Arbeitsmaterialien der beiden Künstler, Fernsehmonitore, eine Gitarre, ein Schild mit dem Schriftzug Avantgarde. In derTat ist das Reisen und Unterwegsein ein zentraler Aspekte jeder künstlerischen Karriere geworden: internationale Ausstellungen führen an entlegene Orte, an denen das Werk vom Künstler installiert wird, internationale Stipendien wiederum verlagern ganze Ateliers in andere Städte. Dass der aus der militärischen Strategie stammende Terminus Avantgarde den dem Heer vorauseilenden Späh- und Erkundungstrupp bezeichnet, passt da sehr gut insBild. Der Esel indiziert aber auch eine gewisse Langsamkeit. Während Kuratoren und Kunstsammler interkontinental per Flugzeug reisen, zieht der Künstler meistnoch immer von einem Ort zum nächsten mit dem Umherziehen als Ziel.
                Martin Pfeifle hingegen thematisiert nicht das unstete Reisen entlang eines Lebensmittelpunkts, sondernrichtet sich in Ringenberg förmlich ein. Seine Styroporarbeit im Rittersaalwirkt auf den ersten Blick wie ein Möbel, verweigert sich jedoch der einfachenFunktion. Man kann an Regalsysteme denken oder an Lärmschutzwände, tatsächlich bleibt die auf den Raum und seine Proportion abgestimmte Installation jedochautonomes Werk im besten Sinn. Die modularen Formen mit den partielleingefügten farbigen Blättern erzeugen eine Serialität und Rasterung, die dastragende Material optisch in den Hintergrund treten lässt. Weder monumental noch zu übersehen, strukturiert das Werk den Raum vollständig neu. Der Betrachter muss seine Bewegung der Platzierung der Styroporskulptur anpassen,denn der direkte Weg ist blockiert. Es ist ein selbstgenügsames Objekt, das eszu respektieren gilt.
                Die Begeisterung für das Warenrepertoire der Baumärkte, die man dereleganten Skulptur trotz allem ansieht, teilt Pfeifle übrigens mit ClausRichter, der ebenfalls raumgreifende, von Improvisation und Formwillen geprägteInstallationen fertigt. Richter präsentiert uns ein Schloss im Schloss, einSchlossinterieur mit schwarzen Wimpeln, Vorhängen und Wappen, alles konsequentin düsterem schwarz. Dieser Raum bildet ab Dienstag das Setting für einen Filmmit dem Titel „black ghost mask“, den er mit allen Schlossbewohnern drehenwird.
                Schon seit mehreren Jahren recherchiert Richter über Science-Fiction und Fantasy-Filme und deren Fans, diesich die fiktiven Filmwelten nachbauen, Objekte und Kostüme adaptieren odereigene Texte für die Hauptdarsteller verfassen. Dieses Vorgehen der Fans hat erschließlich für seine künstlerische Arbeit übernommen und lässt seitdem bekannte Kulissen neu entstehen, baut eine voll funktionstüchtige Geisterbahn,verfasst ein Musical oder aber erfindet einen Schloss-Themenpark wie hier inRingenberg mit viel Willem zum introvertierten Exzess und akribischnachgeformten Detail.
                Historie bildet auch das Fundament der Bilder von Kathrin Sehl, auch wenn diese zunächst ganz abstrakt erscheinen.Sie verarbeitet komplexe Informationen zu Bedeutungsclustern, die so verdichtetsind, dass der eigentliche Inhalt unsichtbar bleibt. Für ihren Bilderzyklus„Calamity I-III“ hat Kathrin Sehl zum Beispiel Verweise und Bilddokumente zurHexenverfolgung des 15. Jahrhunderts am Computer in winzige Miniaturbilderumgerechnet, die sie dann zu großformatigen Malereien kompiliert. Aus der Fernewirken diese Malereien organisch, beim Nähertreten entdeckt man jedoch, dass essich um technisch generierte Bilder handelt und die vermeintlich malerischenSpuren sich als Toten- und Hexentänze, Besen oder hysterische Posen erweisen.Daneben stehen Symbole aus der Skateboard-Kultur und private Elemente.
                In einem wochenlangen Prozess desMalens am Computer werden die klassischen Materialien der Malerei von denBildpixeln ersetzt, Symbole werden zu Farben und erscheinen pastos oderlasierend, obschon jeder einzelne Pinselstrich hier tatsächlich voller Informationen steckt, die es zu dechiffrieren und aus dem All-Over des Bildes zu filtern gilt. In der flachen Visualität steckt hier das eigentlich Sichtbare. 
                Eine auf den ersten Blickhermetische Bildsprache kennzeichnet auch das Vorgehen von DanielMüller-Friedrichsen, der ins einen Zeichnungen, Collagen, Videos, und skulpturalen Arrangements das Verhältnis von Authentizität und Inszenierung, privatem Bezugsrahmen und öffentlicher Künstlerrolle thematisiert. In seinem ausgestellten Video durchkreuzen sich narrativ-beschreibender Kommentar und Selbsterzählung eines Graffitti-Künstlers, filmische Szenenanweisung und Entstehungsgeschichte einesBildes, das wir so nie sehen. Es ist die Geschichte des Buchstabens „e“ aus demWort EVIL, das sich aber auch als LIFE lesen lässt, so wie der offene und zugleich begrenzende Rahmen des Filmes das Wesentlich an die Imagination desBetrachters delegiert. Es ist ein Film über das Filmemachen, aber auch ein Film über den Prozess der Genese eines Werks.
                Diese Selbstreflexion des Filmischen findet man auch in der Videoinstallation von Anneke Ingwersen, die als work in progress am Ort ihres Entstehens – im verwunschenen Turmzimmer – zu sehen ist. Schatten an derDecke des neobarocken runden Raumes tauchen das Zimmer in eine surrealeAtmosphäre aus Licht und Dunkelheit. Der Raum selbst wird zur Projektion, das Schloss zum Film.
                Wenn diese Ausstellung „Schlossstraße“ heißt, ist damit zwar auch die teuerste Immobilie des Spiels Monopoly gemeint, aber ichhabe doch den Eindruck, dass es eher um den Spaß am Spiel geht als um das unbedingte Gewinnen wollen. Nur zusammen ist man ein gutes Team, so dass die einzelnen Akteure sich auf der Einladungskarte präventiv vervielfacht haben, umeindrucksvolle Mannschaftsstärke zu erreichen. In Ringenberg lebt und arbeitet man eine Zeitlang zusammen, und wie gut das funktionieren kann, wie man sich gegenseitig inspirieren kann, zeigt diese Ausstellung der Stipendiaten wirklich eindrucksvoll.