[2018]

Imaginäre und imaginierte Räume

Philipp Fürnkäs

Wer das Glück hat, Arbeiten von Martin Pfeifle unmittelbar begegnet zu sein, weiß, wie wichtig die ganzheitliche Erfahrung ist, um seine raumgreifenden Installationen zu erfassen. Im Begehen und Wahrnehmen erschließen sich dem Betrachter nach und nach die verschiedenen Dimensionen seiner Arbeiten zwischen Räumlichkeit, Form, Konstruktion, Oberflächen und Materialität. 

Skulpturale und architektonische Ansätze, Oberflächengestaltungen an Wand und Boden und Kombinationen daraus schaffen räumliche Perspektiven und Muster, die den bestehenden Raum im wahrsten Sinne unter Beschlag nehmen. Diese Interventionen Pfeifles im Raum gehen von unterschiedlichen Innen-, Zwischen- oder Außenräumen aus, die zu Schauplätzen seiner Arbeit werden. Durch räumliche Transformationen entwickelt Pfeifle Formen und Strukturen, die er praktisch vor Ort mit Hilfe des für ihn so typischen Baumarktsortiments umsetzt. Aus der Suche nach einfachen konstruktiven und gestalterischen Lösungen wird ein Spiel aus Material und Form im Bewusstsein ihrer räumlichen Wahrnehmung. Der experimentelle Umgang mit den Materialien ist dabei ein sichtbarer Teil der Arbeit Pfeifles, die stets dem Prinzip einer begrenzten Haltbarkeit folgt. Mit dem Verzicht auf Dauerhaftigkeit stärkt Pfeifle insbesondere das Moment des Hier und Jetzt der unmittelbaren Erfahrung, in der sich gleichermaßen Freiheit und Leichtigkeit vermitteln. 

Diese direkte Erfahrbarkeit der Arbeiten Pfeifles führt zu der Frage, wie es sich mit der Rezeption außerhalb der Unmittelbarkeit verhält. Das heißt, was passiert mit ihnen nach dem Ende ihrer begrenzten Ausstellungsdauer? Gibt es einen imaginären Ort, an dem sie weiter existieren, nachdem sie erstmal abgebaut sind? 

Das in Einzelteile zerlegte und bearbeitete Material, das sich aufgrund seiner ortsspezifischen Anpassung nicht ohne weiteres an anderer Stelle wieder zur ursprünglichen Installation aufbauen lässt, kann diese Funktion nicht wirklich übernehmen. Auch wenn inzwischen herausgelöste Teile einer Installation zu Editionen Pfeifles geworden sind, die als Artefakte ihre neuen Kontexte suchen, ist das große Ganze nicht mehr fassbar. Praktisch bleibt letztlich nur die fotografische Abbildung, die als visuelles Zeugnis des Vergangenen die Arbeiten des Künstlers für die Zeit nach ihrem Abbau festhält. 

Die fotografische Dokumentation übernimmt Martin Pfeifle konsequenterweise stets selbst. Die dabei entstehenden Installationsansichten – so wie auch in diesem Katalog abgebildet und, stets um neue Projekte aktualisiert, auf der Website Pfeifles zu finden – sind in erster Linie Blicke des Künstlers auf die Ergebnisse seiner Arbeit. Aufgrund der zumeist zeitlich begrenzten materiellen Existenz seiner Installationen kommt ihnen eine wichtige Rolle im Gesamtzusammenhang seines künstlerischen Schaffens zu: Auf der Basis des fotografisch Sichtbaren werden die verschiedenen Ansichten und Blickwinkel zur überlieferten optischen Essenz seiner Arbeiten. Die häufig durch Bewegungsunschärfe verschwommen im Bild erkennbaren Personen verdeutlichen als menschliche Vergleichsgröße Verhältnisse und Proportionen im Raum und ermöglichen eine imaginäre Begehung der Installationen. Da die Arbeiten Pfeifles von vornherein die räumliche Wahrnehmung mit ihren in Konstruktion und Ausgestaltung angelegten Flächen, Strukturen, Mustern und Farben herausfordern, überträgt sich der unmittelbare Moment des Eintauchens und Erforschens des optisch-räumlich Erfahrbaren, wie ihn der direkte Betrachter erlebt, auch bei der fotografischen Annäherung an das ehemals physikalisch Dagewesene. In den Fotografien leben seine Installationen so als imaginierte Räume weiter. 

Ein weiterer aufschlussreicher Aspekt der Fotografie in Martin Pfeifles künstlerischer Praxis sind seine kontinuierlich im Alltag betriebenen Aufnahmen von gestalteten Formen, Details von Architekturen, Oberflächen und Mustern aller Art, die ihm begegnen. Diese Fotostudien bilden in ihrer Gesamtheit ein persönliches, visuelles Archiv Pfeifles, das als formale Inspirationquelle im Hintergrund seiner installativen Arbeiten steht. Mit der Rauminstallation FOTOFOTO (2009), die in der Ausstellung Lela im Kunsthaus Erfurt zu sehen war, wird dieses Archiv erstmals geöffnet und als solches zu einer Arbeit Pfeifles. 2145 digitale schwarz-weiß-Prints aus seinem Fotobestand liegen flächendeckend ausgebreitet auf dem Boden eines Raumes in der Ausstellung. Anstatt einer Installation als Ergebnis eines räumlichen und gestalterischen Transformationsprozesses präsentiert er eine spekulative Fotoarbeit, mit der einen bisher nicht sichtbaren Teil seines Arbeitsprozesses freilegt. Jedes Foto wird zum potentiellen Ausgangspunkt und zur formalen Inspiration eines möglichen neuen Raumentwurfs. Pfeifle überlässt es dabei dem Betrachter, sich hier wiederum seinen ganz eigenen imaginären Raum zu schaffen.

Those who havehad the good fortune to encounter Martin Pfeifle's works directly know howimportant the holistic experience is in order to grasp his expansiveinstallations. While walking through and observing them, the viewer graduallyopens up to the various dimensions of his works between spatiality, form,construction, surfaces and materiality. 

Sculptural andarchitectural approaches, surface designs on walls and floors, and combinationsthereof create spatial perspectives and patterns that literally take over theexisting space. Pfeifle's interventions in space are based on differentinterior, intermediate or exterior spaces that become the settings for hiswork. Through spatial transformations, Pfeifle develops forms and structuresthat he implements practically on site with the help of his very own range ofbuilding supplies. The search for simple constructive and creative solutionsbecomes a play of material and form in the awareness of their spatialperception. The experimental handling of the materials is a visible part ofPfeifle's work, which always follows the principle of limited durability. Bydispensing with durability, Pfeifle particularly emphasises the moment of thehere and now of direct experience, in which freedom and lightness are conveyedin equal measure. 

This directexperience of Pfeifle's works raises the question of how they are receivedoutside of this immediacy. In other words, what happens to them after the endof their limited exhibition period? Is there an imaginary place where theycontinue to exist after they have been dismantled? 

The material,which has been disassembled and reworked into individual parts, cannot reallytake on this function because it cannot be easily reassembled at a differentlocation due to its site-specific adaptation to the original installation. Evenif parts of an installation that have been removed in the meantime have becomePfeifle's editions, which seek their new contexts as artefacts, the big pictureis no longer comprehensible. Ultimately, the only thing that remains is thephotographic image, which, as a visual testimony to the past, records theartist's work for the time after its dismantling. 

Martin Pfeiflealways takes the photographs himself. The resulting installation views – asshown in this catalogue and updated with new projects on Pfeifle's website –are primarily the artist's view of the results of his work. Due to the factthat the material existence of his installations is usually limited in time,they play an important role in the overall context of his artistic work: on thebasis of what can be seen in the photographs, the various views andperspectives become the traditional visual essence of his works. The people whocan often be seen in the pictures, blurred by motion blur, illustrate theconditions and proportions in the room as a human benchmark and enable animaginary tour of the installations. Since Pfeifle's works challenge spatialperception from the outset with their surfaces, structures, patterns andcolours, the direct moment of immersion and exploration of the visual-spatialexperience, as it is experienced by the direct viewer, is also transferred tothe photographic approach to what was once physically present. In thephotographs, his installations thus live on as imagined spaces. 

Anotherrevealing aspect of photography in Martin Pfeifle's artistic practice is thefact that he continuously takes pictures of designed forms, architecturaldetails, surfaces and patterns of all kinds that he encounters in his everydaylife. These photographic studies form Pfeifle's personal visual archive, whichserves as a formal source of inspiration in the background of his installationworks. With the room installation FOTOFOTO (2009), which was on show in theLela exhibition at the Kunsthaus Erfurt, this archive was opened up for thefirst time and as such became one of Pfeifle's works. 2145 digital black andwhite prints from his collection were spread out over the floor of theexhibition room. Instead of an installation as the result of a spatial andcreative transformation process, he presents a speculative photographic work,with which he lays bare a previously unseen part of his working process. Eachphoto becomes a potential starting point and a formal inspiration for apossible new spatial design. Pfeifle leaves it to the viewer to create theirown imaginary space here.