[2015]

flowpole

Georg Elben

Der Titel flowpole ist assoziativ und rätselhaft, es ist ein Kunstwort, denn einen solchen Begriff gibt es nicht. Helfen frei übersetzte Wortbestandteile des Titels wie fließen, Pol oder Stange? Auf die Bewegung des Lichts, sein Fließen, komme ich noch zurück, aber zuerst ist eine präzise Analyse der materiellen Gegebenheiten zum Verständnis nötig. Die von Martin Pfeifle für die Fuhrwerkswaage in Köln konzipierte Installation flowpole besteht aus 120 wetterfesten Leuchtstoffröhren, die exakt an der gleichen Stelle der Wand im Innenraum und an der Außenwand in Richtung Parkplatz und S-Bahnhaltestelle der Stadtbahn Linie 16 angebracht sind. Direkt vis-à-vis der Fuhrwerkswaage befindet sich die Haltestelle Sürth. Hier sitzen bei den kurzen Stops über den Tag ca. 13.000 Fahrgäste in den Bahnen und warten auf deren Weiterfahrt nach Köln oder Bonn. In den neun Wochen Laufzeit von flowpole sind so mehr als 500.000 potentielle Betrachter erreicht worden. 

Die die Installation tragende Längswand des Ausstellungsraums ist mit 45 Zentimetern Stärke schon selbst ein massiver Raumkörper, der als Träger zwischen dem öffentlichen Wirkungsraum außen und der white cube-Atmosphäre im Inneren wie in einem Sandwich steckt. Die dominierenden weißen Neonröhren sind einen Meter lang und haben jeweils 36 Watt Leistung. Das Ausstellungshaus leuchtet also weit in die Nacht hinaus – von 17 bis 23 Uhr –, und im Inneren wird der Besucher regelrecht geblendet, sobald er den Raum betritt. Die Anordnung der Leuchten wirkt wie eine Grafik, der Anbringungswinkel von jedem Leuchtmittel ist mathematisch exakt geplant. Bei meinem ersten Besuch habe ich mich gefragt, warum die Lampen erst in rund einem Meter Höhe beginnen, wenn es, wie sofort erkennbar, um ein all-over geht – von innen wird der Grund sofort klar, denn bei der Planung für die Aufrasterung ist Martin Pfeifle von den Maßen der Innenwand ausgegangen, die eben einen Meter über dem äußeren Bodenniveau beginnt: 6 Meter Höhe und 15,60 Meter Breite. Die zwei vertikalen Reihen Leuchtstäbe, die die in Richtung Goldener Schnitt aus der Mitte verschobene Spiegelachse markieren, sind unmittelbar über dem Fußboden montiert. Mit zunehmender Neigung aus der Vertikalen vergrößert sich dann der Abstand vom Boden, damit die oberen Enden der Lampen immer eine gerade Linie bilden.

Aus der Nähe betrachtet ist die grafische Wirkung allerdings entscheidend durch die spielerische Verkabelung geprägt, deren schwarz ummantelte Umhüllung draußen aus der Ferne durch die rötlichen Backsteine kaum sichtbar ist, im Inneren jedoch eine schwarz-weiße Grafik bildet. Der Strom für jede der fünf Reihen kommt aus einer Verbindung, die Lampen sind also hintereinander geschaltet. Die Kabel führen von oben in die wasserdichte Metallverkleidung hinein, um dann den Strom weiter zu leiten und erneut von unten in einem eleganten Bogen nach oben in die nächste Einheit zu laufen. Die Länge der Kabel ist so und immer gleich gewählt, dass ihr unterer Scheitelpunkt in einer Reihe immer auf der gleichen Höhe liegt. Deswegen müssen sie an der Spiegelachse auch viel länger sein, denn hier ändert sich die Richtung, sie kippen nach rechts oder links weg. Hier werden diese zwei Lampen jeweils von oben angeschlossen, was dazu führt, dass das Kabel der untersten Reihe, die ja fast den Boden berührt, sich ringelt. 

Diese formale Beschreibung ließe sich noch weiter verfeinern, doch auch jetzt wird schon deutlich, dass es sich bei flowpole um eine viel komplexere Angelegenheit handelt, als es auf den ersten Blick scheint. Der Anfang dieser Installation ergab sich aus einer Reihe von Setzungen, die sich auf die architektonischen Gegebenheiten der fast einhundert Quadratmeter großen inneren Wand bezogen, woraus dann die Erscheinung an der Außenwand abgeleitet werden konnte. Doch ist mit einer präzisen Beschreibung aller Details schon die ganze Arbeit ausgelotet? Sicher nicht, und das spürt der  Besucher ganz unmittelbar, wenn er eine Weile in das gleißende Neonlicht schaut. Licht als Material, als künstlerisches Gestaltungsmittel ist nicht neu, und wenn ein Ahnherr aus der Kunstgeschichte für Pfeifles Arbeit gesucht wird, fällt schnell der Name Dan Flavin. Doch die Unterschiede ihrer künstlerischen Intention sind offensichtlich. Während Flavin nach abstrakten geometrischen Formen suchte, die der minimal art nahe stehen, hat Pfeifle Freude daran, eine Vorstellung mit geeignetem Material umzusetzen, aus Holz oder sogar aus Lichtstäben. Das Licht von flowpole flimmert, es pulsiert – es lebt, und damit ist hier keine technische Unzulänglichkeit beschrieben, sondern ein zentraler Bestandteil der Arbeit. Es ist ein Flirren wie beim Blick in die Ferne über heißen Asphalt oder in der Wüste. Kurzzeitig dachte ich an eine Fata Morgana, es kam mir unerklärlich vor, dass eine so starke Lebendigkeit und wellenförmige Bewegung von eigentlich gleichmäßigen Lichtquellen ausgehen sollte, zumal dieses Phänomen aus der Ferne nicht sichtbar ist.

Bei noch genauerem Studium der Details werden dann immer mehr Unregelmäßigkeiten sichtbar, die nicht mit der handwerklich-menschlichen Anbringung zu tun haben, sondern mit dem industriell gefertigten Serienprodukt Leuchtstoffröhren. Und jetzt sage bitte niemand, das sei doch klar, diese Röhren würden natürlich flackern, das ginge wegen ihres physikalischen Bauprinzips und der Funktionsweise des Starters überhaupt nicht anders. Schon klar, dass sich meine Beobachtung physikalisch-technisch leicht erklären lässt, wenn auch nicht von mir, denn ich bin kein Physiker und verstehe das regelmäßige Zünden von Gas in einer luftdichten Glashülle, durch dass sich relativ energiesparsam Licht erzeugen lässt, nur in Ansätzen. Es mag also sein, dass meine Faszination für meine Beobachtung romantisch und naturwissenschaftlich betrachtet als schwärmerisches Nichtwissen zu klassifizieren ist, aber so geht es auch immer mit den beliebt-berüchtigten Sonnenuntergängen, deren physikalische Erklärung ebenfalls ziemlich simpel ist: Sonnenlicht fällt durch die Atmosphäre, die dazu noch durch Staub und Rauch verschmutzt ist, aber wenn ich einen eindrucksvollen sehe, am Strand einer Mittelmeerinsel beispielsweise, dann finde ich es schon toll.

Der Eindruck vor oder in der Installation von Martin Pfeifle ist jedoch ein anderer, denn es ist mir beim Schauen immer bewusst, dass die Bewegung des Lichtes, das Flimmern und das dadurch hervorgerufene leichte Schwindelgefühl durch von Menschen erfundene, aber maschinell hergestellte Objekte hervorgerufen wird. Dem Naturphänomen Sonnenlicht und seinem Verschwinden am Abend wird gemeinhin zugestanden, sentimentale Gefühle hervorzurufen, die Gefühle, die durch artifizielle Produkte hervorgerufen werden, sind eher körperlicher Natur wie Schwindel. Allerdings hat die Gleichmäßigkeit der Serienproduktion auch ihre Grenzen, und daraus bezieht Pfeifles Arbeit einen Teil ihrer Lebendigkeit: Nicht alle Lampen leuchten gleichmäßig, manche sind einfach etwas lichtschwächer oder fangen im Laufe der Zeit an zu flackern. Wichtig ist außerdem, dass die 45 Zentimeter dicke Wand ja nicht gleichmäßig strukturiert ist, weder innen noch außen. Es gibt zwei vergitterte Fenster links oben unter dem Dach, also spiegelverkehrt rechts oben im Innenraum, über die die Leuchten genauso hinwegmontiert sind wie über das dazwischen hängende Schild mit dem blau-weißen Schriftzug FUHRWERKSWAAGE KUNSTRAUM auf orangerotem Grund. Weitere frühere Fensteröffnungen sind zugemauert, was von außen deutlich erkennbar ist an den helleren weil neueren rötlichen Ziegelsteinen. 

Es bleibt der Eindruck einer grafischen Struktur, die an die exakte Anordnung von Eisenstaub erinnert, wenn ein Magnetfeld angelegt wird, oder die wie ein Emblem mit fächerförmig aufstrebenden Strahlen aussieht. Ist flowpole also doch ein abstraktes Sonnensymbol, von der Endlichkeit der Wand begrenzt, aber in der Vorstellung nach oben und zu den Seiten ins Weltall unendlich erweiterbar? Nach unten nicht, da liegt der Fluchtpunkt aller Linien auf der Spiegelachse nur ein paar Meter unter der gegebenen Basislinie. Das kleine Multiple aus Plexiglas, das Martin Pfeifle für die Ausstellung entworfen hat, greift diese Vorstellung auf und übersetzt die ins Unendliche ausgreifenden Lichtblitze in das Bild eines unregelmäßigen strahlenförmigen Fächers. Die Lichtstrahlen beschreiben als Spiegelungen auf den parkenden Autos elegante Linien, und es könnte der Eindruck entstehen, wenn man den schönen Katalog durchblättert, diese Brechungen und Verformungen sind das verborgene, das eigentliche Ziel von Martin Pfeifle.

Georg Elben at the opening on 28 February 2015 

The title flowpole, both associative and enigmatic, is an artificial word since no such noun exists. Does it help at all to conjure up a translation of this image as a cascade of rods? I will get back to the movement of the light, its flux, but first of all a precise analysis of the physical givens are necessary for understanding. The installation flowpole that Martin Pfeifle conceived for the Fuhrwerkswaage in Cologne is made up of 130 weatherproof fluorescent tubes that have been mounted on the same wall inside and outside, a wall that faces the parking lot and the “S-Bahn” train line #16. The train station at Sürth (a Cologne suburb) is located directly across from Fuhrwerkswaage. Every day around 13,000 passengers seated in their compartments stop at this station and wait briefly for the train to continue to Cologne or to Bonn. Which means that in the nine-week presentation of flowpole, over 500,000 passengers will have had the possibility to be its viewers. 

The installation is mounted on the exhibition room’s broad back wall that is 45 centimeters thick and, in itself, already a massive spatial structure, one that is between the open-to-the-public space outside and the white-cube atmosphere inside, like the filling of a sandwich. The domineering white neon tubes are 120cm long and each 36-watt bright. Thus the house of exhibition shines far and wide into the night—from 5 to 11 pm while, inside, the viewer is virtually dazzled as soon as s/he enters the room. The arrangement of the neon tubes resembles a graphic design; the angle at which they are attached has been exactly and mathematically calculated. On my first visit, I wondered why, from outside, the fluorescence first begins at a roughly one-meter height when, as is immediately discernible, it is meant to be an all-over. Inside, the reason becomes instantly clear, for Martin Pfeiffle took as his measure the dimensions of the interior wall, which starts a meter above the outside ground level: thus, 6 meters high and 15.60 meters wide. The two vertical rows of neon tubes, which mark the shift in the mirror axis from the image’s center that alludes to the golden section, are mounted directly above the floor. With an increase in the slant of the vertical rows, this distance to the floor also grows, so that the upper ends of the tubes form a straight line across.

Seen up close, the graphic impact is decisively characterized by the playful wiring, whose black-coated cables are from a distance hardly noticeable against the reddish brick façade outside, but, inside, produce a black-and-white graphic pattern. The electric current for each of the five rows comes from one connection, so that the fluorescent tubes are serially connected. From abov, the cables lead into the neon’s waterproof metal backing, so conducting the electricity from below to the next row in an elegant arc upwards. The cables’ length is thus and always the same so that the row’s bottom stationary point always lies at the same height. For which reason the cables are also much longer at their mirror axis since it is here that the direction changes and they slant to the right or to the left. Here each of these two tubes is connected from above, which causes the cable of the bottom row, whose light almost touches the floor, to curl. 

The formal description could be further refined, but even now it becomes clear that flowpole constitutes a much more complex affair than it seemed at first sight. The installation began as a series of postulations related to the architectural givens of the almost one hundred square-meter inner wall, from which the outside wall derives its appearance. But does a precise description of all these details sufficiently plumb the entire work? Surely not. And the visitor detects this quite intuitively when s/he looks into the glaring fluorescence for a certain time. Light as material, as an artistic means of formulation, is not new. And when we search for an art-historical forefather behind Pfeifle’s work, the name of Dan Flavin comes quickly to mind. However the differences in their artistic intentions are obvious. While Flavin sought abstract geometric forms that were close to Minimal Art, Pfeifle finds pleasure in converting a concept into suitable material, out of wood or even out of light rods. Flowpole’s light flickers, it pulses, it is alive. And thus what is described here is not a technical insufficiency but a central component of the work. It conjures up a shimmer like a distant view of a scene above hot asphalt or a desert. My first brief thought was of a fata morgana. It seemed inexplicable to me that such vivacity and wavy movement could radiate from what is actually a stable light source, particularly since this phenomenon is not visible from a distance.

A closer examination of the details reveals ever more irregularities that have little to do with the human installation of the work, but with the serial product of industrially fabricated neon tubes. And please don’t now claim that it’s quite clear that these tubes will naturally flicker; it couldn’t be otherwise because of the structural principle in the way the starter functions. It’s clear that my observation is easy to explain technically; I am not a physicist and only rudimentarily understand how the regular discharge of gas in a sealed glass tube generates relatively energy-wise light. It may thus be that I am fascinated by my observation that, when romantically and scientifically seen, can be classified as effusive cluelessness. But so it is with the notoriously clichéd sunset, whose explanation in the terms that physics provides is likewise quite simple: sunlight falls through an atmosphere that is contaminated with dust and smoke. But when I see it, for example, on a Mediterranean beach, I find it absolutely smashing. 

The impression vis-à-vis or within Martin Pfeifle’s installation is, however, different. As a viewer I am ever aware that the movement of the light, its flicker and the slight dizziness that it produces is something conjured up by manmade mechanical objects. Granted, the natural phenomenon of sunlight and its nightly disappearance evokes sentimental feelings, and such emotions that are called up by artificial products are of a more physical nature than a deception. Nonetheless the consistency of the serial production has its limits, and from these Pfeifle’s work draws some of its vitality: Not all the lamps light up evenly; several are simply somewhat weaker or, over the course of time, begin to flutter. In addition, the 45cm-thick wall has not been evenly built, neither inside nor out. From outside there are two barred windows upper left under the roof—inside on the upper right—across which the fluorescent lighting is mounted while it also traverses the sign with the blue-white words FUHRWERKSWAAGE KUNSTRAUM against an orange-red ground. Other former windows have long been walled in, which is clearly visible from outside by way of the areas of newer and lighter-colored reddish bricks. 

The impression of a graphic pattern remains, recalling the exact alignment of iron dust when a magnetic field is laid out, or that looks like the emblem of an outgoing span of rays. Is flowpole then an abstract symbol of the sun; though bound by the wall’s limits, is the idea of it infinitely expandable upwards and sideways into space? Though not downwards; the vanishing point of all the lines lies at the mirror axis only a few meters below the given base line. The small multiple of Plexiglas that Martin Pfeifle designed for the exhibition takes up this idea and translates it into infinitely wide-ranging light flashes in this image of an irregular fan-like radiance. The light beams paint elegant mirrored lines on the cars parked en face. When leafing through the lovely catalogue, anyone could very well get the impression that these deflections and deformations were the actual latent objective of the artist Martin Pfeifle.

Translation from German: Jeanne Haunschild