[2023]

Die heftige Variante des Lockerseins

Anne Schloen

Der deutsche Schriftsteller Ronald M. Schernikau (1960-1991) war homosexuell und Kommunist. Beides ausdrücklich und lautstark. Als 18-Jähriger schrieb er das Buch, das ihn 1980 über Nacht zum Star machte: Kleinstadtnovelle. Nur ein Jahr später verfasste er sein zweites Buch, die heftige variante des lockerseins. ein festspiel. Es sei ein ironischer Titel, erklärte der Autor 1987 in einem Interview: „die leute, die erzählen, daß sie ganz locker sind, sind meistens am verkrampftesten. (...) ich empfinde die variante als nicht locker, sondern als angestrengt und selbstquälerisch." 

Die gleichnamige Arbeit von Martin Pfeifle verweist auf Schernikaus Buch. Es ist eine lustvolle Hinterfragung eines durchschnittlichen deutschen Wohnzimmers und besteht aus eigenwilligen Objekten: Farbige Möbelskulpturen besetzen den gesamten Raum: Die Stühle, Bänke, Hocker und Tische sind wie Charaktere, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen und Vielfältigkeit repräsentieren. Sie sind alle nach einem Charakter aus Schnernikaus Buch benannt. Als hybride Objekte konzipiert sind sie zugleich Skulptur, Installation, Möbel und Display. 

Uneindeutigkeit als Potenzial. Der Moment der Verunsicherung ermöglicht das Aufbrechen von eingefahrenen Verhaltensmustern und Wahrnehmungsstrukturen. Auf Martin Pfeifles Objekten liegen queere Romane und Sachbücher. Sobald die Besucher*innen den Raum betreten, in ihm verweilen und mit den Objekten interagieren, werden sie selbst zu Akteur*innen und damit Teil der Arbeit. Die Arbeit entstand für die Ausstellung „Whos afraid of Stardust?“ in der Kunsthalle Nürnberg 2023.

German author Ronald M. Schernikau (1960-1991) was a vocal homosexual and communist At the age of 18, he wrote the book that made him an overnight star in 1980: Kleinstadtnovelle (Small-Town Novella). Just one year later, he brought out his second book, die heftige variante des lockerseins. ein festspiel. (The intense variant of being relaxed. A festival.) As the author explained in a 1987 interview, this title was ironic: "People who say they're relaxed are usually the most uptight. (...) I don't find this variant to be relaxed, but rather strained and self-tormenting. 

For Kunsthalle Nürnberg, Martin Pfeifle developed an extensive work made of arbitrary objects. The title references Schernikau and the work itself scrutinises - with great relish - the average German living room. The entire space is taken up with coloured furniture sculptures: the chairs, benches, stools and tables are like characters that escape clear allocation and represent diversity. They are hybrid objects that are sculpture, installation, furniture and display all at once. Ambiguity is a source of potential here. The moment of uncertainty permits the objects to break free of entrenched behavioural patterns and structures of perception. Books and magazines on queer topics are placed upon Martin Pfeifle's objects. Once the visitors enter the space, linger a while and interact with the objects, they become an active part of the work themselves.